„Strategieentwicklung ist oft auch Kulturentwicklung“
In vielen unserer Projekte begleiten wir Organisationen bei der Strategieentwicklung und -umsetzung. Dabei wählen wir oftmals einen Ansatz, der auf kontinuierliches Lernen, breite Partizipation und schnelle Veränderungsimpulse setzt — und so strategisches Handeln und Entscheiden auch in komplexen und dynamischen Umfeldern ermöglicht. Studierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben sich im Rahmen eines Projektseminars am Lehrstuhl für Management und Digitale Transformation von Prof. Dr. Andranik Tumasjan mit unserem Ansatz auch aus wissenschaftlicher Perspektive auseinandergesetzt. In unserer Reihe „covolution im Gespräch mit…“ hat Jochen mit Lukas Knell, Henry Scholz und Xaver Zapf gesprochen.
Jochen Tscheulin: Ihr habt Euch jetzt ein halbes Jahr mit dem Thema Strategie in unterschiedlichen Umfeldern beschäftigt: Was war für Euch in der Auseinandersetzung mit dem Thema die spannendste Erkenntnis?
Henry Scholz: Strategie wird aus meiner Sicht oft reduziert auf die Frage, wie positionieren wir uns am Markt. Das springt aber zu kurz. Entscheidend ist auch, wie arbeiten wir zusammen, wie binde ich die Belegschaft ein, wie richten wir uns in ganz unterschiedlichen Dimensionen aus. Das hat man jetzt an vielen Stellen erkannt.
Xaver Zapf: Für mich ist deutlich geworden, wie wichtig das Thema breite Beteiligung der Belegschaft im Rahmen von Strategiearbeit ist, wenn sich das Unternehmen im dynamischen Umfeld bewegt. Unternehmen sind heute einer Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren ausgesetzt. Um mit dieser dynamischen Umwelt Schritt halten zu können, müssen die meisten Unternehmen tiefgreifende Veränderungen in ihrer strategischen Ausrichtung und im Strategieentwicklungsprozess vornehmen. Denn nur wenn viele Führungskräfte und Mitarbeiter bei der Strategieentwicklung involviert waren, kann dezentral schnell und im Sinne der gemeinsamen Ausrichtung entschieden werden. Und nur so kann die notwendige Schnelligkeit am Markt erreicht werden.
Lukas Knell: Ich fand vor allem spannend, dass wir Praxis und Theorie zusammengebracht haben. Basis unserer theoretischen Auseinandersetzung waren die 10 Strategieschulen von Henry Mintzberg. Das haben wir mit Tiefeninterviews mit Unternehmensvertretern aus unterschiedlichen Branchen wie Mobilität, Energie und Nahrungsmittel abgeglichen, die wir dann exemplarisch der Lernschule, der Unternehmerschule und der Planungsschule zuordnen konnten. Damit wurde das Theoriekonstrukt konkret fassbar.
Könnt ihr diese drei Schulen kurz erläutern?
Lukas Knell: In der Planungsschule wird der Prozess der Strategieentwicklung als formaler Prozess gesehen und entlang von fünf klar definierten Schritten organisiert: Zielsetzung, externes Audit um Vorhersagen zur Zukunft zu treffen, internes Audit zur Analyse von Stärken und Schwächen, Evaluierung möglicher Strategieoptionen und Operationalisierung in strategischen Aktivitäten häufig im Rahmen eines Fünfjahresplans. Die aus diesem Prozess hervorgehenden Strategien sind fertig formuliert und werden unter detaillierter Betrachtung von Zielen, Budgets und Programmen implementiert. Das funktioniert gut in einem sehr planbaren stabilen Umfeld.
Xaver Zapf: Bei der unternehmerischen Schule hat der Gründer oder Inhaber eine intuitive Vision im Kopf, wohin sich die Organisation entwickelt. Das schafft Flexibilität, da der Unternehmer die Vision immer auch an seine konkreten Erfahrungen und sich bietende Chancen anpassen und weiterentwickeln kann. Allerdings ist die Organisation damit auch abhängig, von der Gesundheit und Willkür eines Einzelnen.
Henry Scholz: Die Lernschule schließlich setzt darauf, dass Menschen kontinuierlich aus konkreten Situationen lernen. Und aus der Fähigkeit ihrer Organisation, mit diesen Situationen umzugehen. Weil die Organisationsumwelt volatil ist und nicht gezielt gesteuert werden kann, setzt dieser ressourcenorientierte Ansatz auf den Aufbau von Organisationsbewusstsein und die Stärkung von Intrapreneurship. Strategien entstehen damit eher aus dem kontinuierlichem Lernen, dem Erkennen von Mustern und einer Vielzahl kleiner Aktionen, als dass sie zentral entwickelt werden.
Ihr habt unser Vorgehen mit der Lernschule verknüpft. Wir setzen in der Strategiearbeit mit unseren Kunden in der Tat auf kontinuierliches Lernen im Prozess, ergänzen diesen evolutionären Ansatz aber um die klare Ausrichtung am Purpose der Organisation („Wofür?“) und an vitalen Zukunftsbildern („Wohin?“). Was macht aus Eurer Perspektive den lernenden Ansatz aktuell so bedeutsam?
Xaver Zapf: Es bietet einen Ansatz, um mit der komplexen und dynamischen Umwelt umzugehen, die viele heute mit „VUCA“ beschreiben. Andere Strategieschulen brauchen relativ starre Rahmenbedingungen. Auch diese gibt es heute noch in einigen Bereichen – das haben auch unsere Interviews gezeigt - aber eben nicht mehr überall und tendenziell immer weniger.
Lukas Knell: Die Lernschule passt auch vielmehr zu unserem Zeitgeist: Menschen wollen mitgestalten, ausprobieren und umsetzen. Es passt zu den neuen Organisationsformen und flacheren Hierarchien, die Unternehmen auch wettbewerbsfähiger machen.
Viele unserer Kunden beschäftigt die Frage, wie sie Strategiearbeit so machen können, dass sie nicht nur auf dem Papier steht, sondern im Alltag wirkt. Habt Ihr in Eurer Analyse dazu auch Erkenntnisse sammeln können?
Lukas Knell: Absolut. Es geht darum, dass sich die Menschen frühzeitig mit der Strategie auseinandersetzen, nicht erst wenn sie fertig auf dem Tisch liegt. Dafür kann man Leitplanken schaffen, wie von der Analyse über die Zielbildformulierung bis zur Umsetzung immer wieder Mitarbeiter eingebunden werden können. Ich glaube, dass dabei Freiwilligkeit ein zentraler Schlüssel ist, um die richtigen Menschen einzubinden.
Henry Scholz: Damit ist aber oft auch ein Kulturwandel verbunden und das geht nicht von heute auf morgen. Die Lernschule setzt ja auf gemeinsames Lernen. Das ist für viele traditionelle Unternehmen ungewohnt und damit ist Strategieentwicklung auch zugleich Kulturentwicklung. Das ist ein Invest und braucht Zeit. Und ich habe mir schon die Frage gestellt, geht das angesichts der Disruptionen rund um die Digitalisierung schnell genug?
Das deckt sich mit unseren Beobachtungen. Aus unserer Erfahrung ist Strategiearbeit nie zu Ende, sondern eine kontinuierliche Aufgabe. Strategie-Entwicklung und -Umsetzung gehen Hand in Hand. Immer wieder werden Initiativen ins Leben gerufen, die spürbare Veränderungen anstoßen. Wichtig ist, die Menschen in der Organisation erkennen zu lassen, dass sie bereits auf dem Weg zur Strategie wirksamer sein können – im Miteinander und für ihre Kunden. Was sind aus Eurer Sicht zentrale Empfehlungen, die ihr Unternehmen geben könnt, die jetzt an ihrer Strategie arbeiten?
Xaver Zapf: Frühzeitig diejenigen in einen Strategieprozess einbinden, die die größte Nähe zum Markt und zu den Kunden haben. Ihre Alltagserfahrungen werden oft zu wenig berücksichtigt. Und vielleicht sogar Kunden und Stakeholder direkt schon in die Analyse und Strategieentwicklungsphase einbeziehen.
Henry Scholz: Das ist aus meiner Sicht insgesamt eine der zentralen Aufgaben von Führungskräften: neues Wissen und neue Ideen in die Organisation und die Strategieentwicklung reinbringen. Und nicht wie ich das kennengelernt habe. Es wurde ein halbes Jahr geplant und ein halbes Jahr controlled, um am Ende den Forecast zu erreichen. Das ist nur Innenorientierung zur Befriedigung des Systems. Aber damit ist Strategieentwicklung heute auch doppelt gefordert: Es geht immer zugleich um eine inhaltliche oder technologische Weiterentwicklung, aber eben auch um eine organisationale Weiterentwicklung und Transformation. Beides geht nur miteinander.
Herzlichen Dank euch Dreien für das Gespräch!
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