Partizipative Strategie-Entwicklung in Komplexität und Dynamik
In einer immer dynamischer und komplexer werdenden Welt stellt sich für Unternehmen die Frage, ob Strategien überhaupt noch hilfreich sind. Unsere Antwort ist ein klares „Ja, sind sie!“ Denn sie bieten grundsätzliche Orientierung und machen Unternehmen handlungs- und anpassungsfähig. Aber: Strategie muss neu gedacht werden — weg vom linearen Prozess mit starren Zielen, hin zu einem flexiblen Rahmen, der eine Ambition Richtung Zukunft formuliert und gleichzeitig Raum für Lernen und schnelles Agieren lässt. Schon der Prozess der Strategie-Entwicklung kann dabei selbst Teil der kulturellen Transformation von Unternehmen sein. Nämlich dann, wenn er auf neue Formen der Zusammenarbeit setzt und die Beziehungen und Netzwerke in der Organisation stärkt. Strategie muss also als „lernende Strategie“ gedacht werden. In unserer Artikelreihe erklären wir, was eine gute Strategie in der VUCA-Welt ausmacht und wie Unternehmen in einem kollaborativen Prozess ambitionierte Schritte Richtung Zukunft gehen können. In Teil 1 stellt Sören sechs Thesen auf, woran Strategien heute oft scheitern und gibt erste Impulse für erfolgreiche Strategie-Entwicklung.
Strategie in der „Wirksamkeitskrise“ — sechs Thesen
Die Strategie-Entwicklung und -Umsetzung gehört in vielen Unternehmen zum Ein-mal-Eins der Führungsmannschaft. Strategien bieten Orientierung, sie machen die Weiterentwicklung der Organisation zur Selbstverständlichkeit und sorgen dafür, dass möglichst alle auf ein Ziel hinarbeiten. Sie bieten das Potenzial, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und zu wissen, was zu tun ist — und was nicht. Und dennoch hört man auf vielen Fluren von Konzernen, Mittelständlern und Start-ups oft die gleichen, frustrierten Äußerungen: „Unsere Strategie ist nur ein Papiertiger!“, „Da steht das gleiche drin wie vor fünf Jahren, als wir die letzte Strategie formuliert haben!“, „Die Strategie gießt nur das in einen Rahmen, was wir eh schon machen — verändern wird sich eh nichts!“. Woran liegt es, dass Strategie oftmals ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit im Unternehmensalltag verloren hat? Sechs Thesen.
Strategie verliert in der VUCA-Welt an Treffsicherheit, weil Zukunft unbekannter denn je ist.
Viele Unternehmen spüren, dass sich die Welt um sie herum immer schneller verändert. Die oft zitierte „VUCA“-Welt wird unbeständiger, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger. Kundenbedürfnisse werden vielfältiger, neue Wettbewerber treten auf den Markt, Technologien und neue Marktpotenziale kommen in immer kürzeren Zyklen daher. Auf viele Fragen gibt es kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ mehr. Diese Änderungen stellen die bisherigen Steuerungslogiken infrage, bewährte Instrumente greifen nicht mehr. Das gilt insbesondere für klassische Strategieprozesse, die mittel- und langfristige Ziele definieren und diese dann linear verfolgen: Kaum entwickelt und bereit für den Roll-out, sind die in ihnen getroffenen Annahmen schon wieder obsolet. Die klassische Strategie steht vor einem Dilemma: Entweder formuliert sie Ziele, die sich womöglich als ungenau oder gar unzutreffend herausstellen, oder sie formuliert (um den Fehler zu vermeiden) unspezifisch und ungenau — und bietet damit kaum oder gar keine Orientierung. Das Ergebnis ist fatal: Vielerorts tritt eine gewisse „Strategiemüdigkeit“ auf, die den Glauben an die Notwendigkeit und die Wirksamkeit der eigenen Strategie schnell verpuffen lässt. Strategie verliert an Treffsicherheit und landet in der Schublade — und nicht im Alltag der Organisation.
Strategie als reines Optimierungstool verliert den Kunden aus dem Blick.
Viele Strategien legen den Fokus auf die Verbesserung von internen Abläufen und Prozessen. Dieses Vorgehen hat lange funktioniert und führte zu mehr Effizienz, optimierten Prozessen und der nächsten Restrukturierung. Wer dabei allerdings oft aus dem Blick verloren wird, sind die Kunden. Das ist unter den bereits beschriebenen Umweltbedingungen besonders gefährlich. Strategie ist dann erfolgreich, wenn sie bereits bei der Entwicklung die Kunden und ihre Bedürfnisse sowie relevante Markt- und Umfeldentwicklungen in den Blick nimmt.
Strategie lässt die kollektive Intelligenz der Organisation ungenutzt.
Strategie-Entwicklung vollzieht sich sehr oft noch hinter verschlossenen Türen. Dabei sind zwei Phänomene zu beobachten:
- Outsourcing — statt auf die eigene Kompetenz zu vertrauen, werden externe Berater*innen mit der Lösungsentwicklung betraut.
- Strategie als Chefsache — Strategie wird oftmals als Vorstandsaufgabe verstanden und nur unter Einbindung der engsten Vertrauten entwickelt.
Begründet wird dieses Vorgehen mit der Annahme, dass das Thema „Strategie“ zu weit weg von den Mitarbeitenden sei und dass es sie entweder nicht interessiere, oder es zu abstrakt sei.
Damit bleibt aus unserer Erfahrung viel Potenzial auf der Strecke: Erstens bleibt so die kollektive Intelligenz der Organisation ungenutzt. Mitarbeiter*innen, die nah an Kunden und Markt agieren, verstehen „die Welt da draußen“ in der Regel sehr gut. Sie haben durch den intensiven Kontakt mit Kunden und Partnern, durch Weiterbildungen und Gespräche viele neue Ideen, die das Unternehmen voranbringen könnten. Oft gibt es auf Mitarbeiter*innen-Ebene wesentlich mehr Klarheit darüber, was die „wirklich dicken Bretter“ sind, an denen gearbeitet werden muss — und es gibt mehr Mut, diese auch eindeutig zu adressieren.
Zweitens fehlt den „oben“ oder „extern“ entwickelten Strategien oftmals der Rückhalt der Organisation. Dies liegt nicht daran, dass sie inhaltlich schwach oder falsch formuliert sind. Der Grund ist viel trivialer: Menschen unterstützen erarbeitete Ergebnisse dann, wenn sie selbst aktiv daran mitgearbeitet haben. Und deshalb sind von Anderen erarbeitete Ergebnisse zunächst erstmal weniger relevant und attraktiv als das, was man selbst gestaltet hat. Da Strategie aber insbesondere in der Umsetzung durch alle Menschen in der Organisation ihre Wirkung entfaltet, ist der fehlende Rückenwind besonders erfolgsgefährdend.
Strategie fehlt oft die Übersetzung in den Alltag.
Oftmals scheitern Strategien daran, dass sie zwar inhaltlich richtig, jedoch nicht konkret genug formuliert sind. Allgemeinplätze wie „in den kommenden Jahren rücken wir den Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns“ sind zwar gut gemeint, aber beliebig. Offen bleibt die Frage: Was bedeutet das konkret? Auf diese Frage findet eine Mitarbeiterin des Vertriebs vermutlich andere Antworten als der Teamleiter eines IT-Bereichs. Der Vorarbeiter in der Fertigung wird diese Frage anders beantworten als die Personalleiterin. Genau diese Perspektiven braucht es jedoch, um strategischen Zukunftsbildern die Plastizität zu verschaffen, die wirkungsvolles Handeln im Alltag ermöglicht. Gelingt es nicht, diese Perspektiven einzuholen und hilfreiche Anknüpfungspunkte für die Verankerung im Alltag zu schaffen, verpuffen strategische Vorhaben, weil es ihnen an der Übersetzung fehlt. Deshalb ist es wichtig, immer wieder die richtige Flughöhe zwischen „allgemein gültig“ und „hinreichend spezifisch“ zu erreichen.
Strategie lässt die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur unberücksichtigt.
„Culture eats strategy for breakfast.“ Diese Beobachtung von Peter Drucker deckt sich vermutlich mit vielen Erfahrungen von Menschen, die Strategien in ihren Unternehmen in die Umsetzung bringen möchten. Eine businessrelevante und damit wirksame Strategie bedeutet fast immer auch eine nicht unerhebliche Weiterentwicklung des Verhaltens der Organisations-Mitglieder. Mehr Kundenorientierung, Verantwortungsübernahme oder Feedback-Kultur sind eben keine Phänomene, die vom einen auf den anderen Tag neu gelernt werden können und per Strategie verordnet werden können. Veränderungen lösen Sorgen und Ängste aus — entsprechend stoßen auch gute Strategien, wenn sie tatsächlich Veränderung anstoßen wollen im Alltag potenziell auf Ablehnung und Widerstand. Neue Verhaltensmuster müssen mühsam erlernt, alte Praktiken verlernt werden. Das benötigt Zeit, Leidenschaft, Motivation und Geduld. Strategie kann demnach nicht vom einen auf den anderen Tag aus einem Langezeit erfolgreichen Tanker ein wendiges Speedboat machen — aus einem geschätzten Familienunternehmen keine Entwickler-Garage. Was hier zählt, sind das bewusste Erleben des Neuen bereits im Strategieprozess, evolutionäre Schritte statt revolutionäre Brüche und eine zielgerichtete Begleitung all derer, die an der Veränderung beteiligt sind.
Nach der Strategie ist vor der Strategie — die Umsetzung ist entscheidend.
Oft wird viel Energie in die Erarbeitung einer Strategie investiert. Die Hoffnung, die sich dann vielerorts breit macht: Ist die Strategie erstmal entwickelt, haben wir es als Unternehmen geschafft. Und ja: Eine formulierte Strategie ist ein erster wichtiger Schritt. Doch der große, entscheidende Schritt folgt erst im Anschluss: in der Umsetzung und Weiterentwicklung. Der Abschluss der Strategie-Entwicklung ist nicht der Zieleinlauf, sondern vielmehr der Startschuss für einen Langstreckenlauf, der an der ein oder anderen Stelle steinig, ermüdend und frustrierend sein wird — aber auch das Potenzial bietet, die Organisation anpassungsfähig und damit zukunftsfest zu machen.
Impulse für erfolgreiche Strategiearbeit in Komplexität und Dynamik
Wir sind der Überzeugung, dass Strategien einen großen Mehrwert in komplexen, dynamischen und zunehmend unvorhersehbaren Zeiten bieten. Damit sie ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Organisation leisten und Orientierung bieten können, braucht es einen eindeutigen Fokus, neue Formen der Zusammenarbeit und eine klare Ausrichtung auf den Kundennutzen. In unseren Projekten geben wir unseren Kunden unter anderem folgende Impulse, die als Denkanstöße für erfolgreichere Strategiearbeit zu verstehen sind. Denn klar ist auch: Es gibt nicht das eine Erfolgsrezept: Jede Organisation muss ihren eigenen Weg finden, der zu ihr und den Menschen passt.
Klären Sie bereits zu Beginn: Wofür und warum braucht es eine neue Strategie?
Strategien verkommen schnell zum „Evergreen“. Alle Jahre wieder — oft mit Personalwechseln verbunden — wird ein neuer Strategieprozess gestartet. Damit die Strategiemüdigkeit, die in vielen Unternehmen vorherrscht, nicht direkt zum Strategie-Killer wird, sollten Sie zu Beginn Zeit investieren, um das „Wofür?“ zu klären und transparent zu machen. Hilfreiche Fragen zur Klärung können sein:
- Was ist anders, wenn die Strategie entwickelt ist? Woran merken das Kunden, Mitarbeiter*innen und Kooperationspartner*innen?
- Woran erkennen Sie nach Abschluss des Strategie-Prozesses, dass Sie Ihre Zeit nicht sinnvoller hätten investieren können?
- Eine Strategie kann viele Stoßrichtungen haben — worauf liegt Ihr Fokus? Was ist Ihre beste Hoffnung, die Sie mit dieser Fokussierung verbinden?
Setzen Sie auf neue Formen des Miteinanders und frühe Partizipation, um durch die Strategie-Entwicklung Kulturveränderung spürbar zu machen.
Strategien, die gemeinsam erarbeitet werden, erzeugen bessere Ergebnisse und erfahren breitere Unterstützung. Und: Sie machen die mit der Strategie verbundene Veränderungen und Weiterentwicklungen direkt spür- und erlebbar. Nutzen Sie deshalb den Prozess der Strategie-Entwicklung direkt als „Prototyp“ für neue Formen des Miteinanders, für Partizipation und gemeinsames Arbeiten an der Zukunft des Unternehmens. Binden Sie Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen ein. Oft bewährt hat sich hier auch das Prinzip der Freiwilligkeit: Wer mitarbeiten möchte, arbeitet mit — wer nicht, der nicht. Im besten Falle bauen Sie durch den Prozess der Strategie-Entwicklung bereits ein Netzwerk veränderungstreibender Multiplikator*innen auf.
Raus aus der Innensicht, rein ins Feld: Stellen Sie die Kunden in den Mittelpunkt Ihrer Strategie.
Strategien sind dann erfolgreich, wenn sie durch die Weiterentwicklung der Organisation wahren Kundennutzen generieren. Damit Kundenbedürfnisse transparent sind, erste Gedanken frühzeitig und iterativ getestet und verprobt werden können, sollten Sie ausgewählte Kunden punktuell in den Prozess einbinden. Hier ist oft der erste Schritt der mutigste — doch das Feedback, die positiven wie konstruktiven Rückmeldungen und auch die Außenwirkung als innovatives Unternehmen sind oft unbezahlbar. „Open Innovation“ wird bereits an vielen Stellen erprobt — der nächste logische Schritt ist dann „Open Strategy“.
Stellen Sie sich auf unterschiedliche Szenarien ein und denken Sie in möglichen Zukünften.
Allgemeingültige Visionen auf Kaffeebechern und in Unternehmens-Foyers entfalten weder Sogkraft nach innen noch Euphorie nach außen. Vielmehr noch: Angesichts zunehmender Komplexität, Dynamik und Unvorhersehbarkeit verlieren sie zwangsläufig an Treffsicherheit. Dennoch ist ein klar formulierter Anspruch an die Zukunft hilfreich, weil er Orientierung bietet. Die Kunst ist es, dabei in unterschiedlichen Szenarien zu denken und vielfältige Zukünfte in den Blick zu nehmen, statt auf nur eine Zukunft hinzusteuern. Dafür sollten Sie unterschiedliche Szenarien entwickeln und diese für Ihr Unternehmen bewerten. Wenn dieser Perspektivwechsel gelingt, werden Sie heute zum Gestalter der Zukunft und können nächste wirkungsvolle Schritte wählen, die mit Blick auf mehrere Zukünfte hilfreich sind.
Starten Sie mit dem „Why“ der Organisation und bieten Sie damit einen stabilen Orientierungsanker
Wenn Zukunft ungewisser denn je ist und klassische Planungen nur noch teilweise verlässlich sind — was gibt dann Orientierung? Das Konzept der „purpose driven Organizations“ setzt beim „why“ an. Erfolgreiche Unternehmen, die in dynamischen und komplexen Zeiten anpassungsfähig bleiben, richten sich an ihrem „Why“ aus: Warum gibt es das Unternehmen und was treibt es an? Wofür braucht die Welt genau dieses Unternehmen? Dieser Unternehmenssinn bietet einen hilfreichen Bewertungsrahmen für mögliche Zukunftswege. Die Arbeit am Purpose nimmt dabei die Wurzeln des Unternehmens in den Blick und unterscheidet sich maßgeblich von Marketing-Visionen oder glatten Mission-Statements.
Setzen Sie Ihre Strategie als „lernende Strategie“ auf, die kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Wenn Zukunft ungewiss ist, bedarf es eines Strategie-Verständnisses, das auf permanentes Lernen und kontinuierliche Weiterentwicklung setzt. Setzen Sie Ihre Strategie deshalb so auf, dass sie als „lernende Strategie“ auf sich verändernde Umfeldentwicklungen reagieren und sich immer wieder am Kundennutzen ausrichten kann. Dies bedeutet, bei der Formulierung von Zielen und Maßnahmen in einen kürzeren, iterativ ausgelegten Zyklus überzugehen und sich bewusst zu sein, Entscheidungen in Unsicherheit treffen zu müssen — oder zu dürfen. Der Effectuation-Ansatz zeigt, wie Unternehmen Unsicherheit als Chance für wirkungsvolle Entscheidungen begreifen können. Empfehlenswert ist diese kurze Einführung von Michael Faschingbauer.
Strategie in der heutigen Zeit erfordert ein Umdenken und ein Weiterdenken von klassischen Konzepten. Dann bietet sich der Strategie die große Chance, aus der „Wirksamkeitskrise“ zum Katalysator für wirkungsvolle Zusammenarbeit zu werden.
In den kommenden Wochen werden wir an dieser Stelle unseren Ansatz für partizipative Strategie-Entwicklung vorstellen und Ihnen Impulse für die Strategie-Entwicklung geben, mit denen Sie Bewährtes nutzen und gleichzeitig einen geschützten Raum für mutige, neue Ideen schaffen können. Uns interessiert aber auch: Was sind Ihre Erfahrungen mit der Entwicklung von Strategien in Ihrem Unternehmen? Was sind Hürden, was Erfolgsfaktoren? Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
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