5 Thesen: Warum Unternehmen an Transformationen scheitern
Erschienen in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche am 20. Oktober 2017.
Um richtungsweisende Transformationen anzustoßen, setzen viele Konzerne große Programme auf. Oft ohne Erfolg. Fünf Thesen, warum das so ist — und Empfehlungen, wie Konzerne es besser machen können.
Restrukturierungen, drastische Kosteneinsparziele, Anpassungen von Geschäftsmodellen oder Kulturwandel — für Transformationen dieser Dimension setzen Großunternehmen klassischerweise Konzernprogramme auf. Also Programme, die vom Vorstand ausgerufen, mit Hilfe externer Beraterinnen und Berater ausgetüftelt und top-down mit Unterstützung eines starken Project Management Office (PMO) implementiert werden. Das klassische Konzernprogramm lässt wenig Spielraum für Diskussion in der Organisation. Es soll aufrütteln und die Mannschaft in Bewegung versetzen. In der Praxis gelingt letzteres — die Mannschaft in Bewegung zu versetzen — allerdings erstaunlich wenigen Konzernprogrammen. Tendenz sinkend. Woran liegt das?
These 1: Vielen Programmen fehlt eine klare Leitidee und Zukunftsperspektive.
Ein häufiger Grund für das Aufsetzen eines neuen Konzernprogramms ist ein Vorstandswechsel oder ein Vorstand unter Druck. Mit anderen Worten: Das Programm dient in erster Linie der Positionierung einer Person oder als Marktsignal, jedoch nicht der zukunftsgerichteten Entwicklung eines Unternehmens. Der Anspruch etwas Neues zu schaffen ist oft größer als der Wunsch, etwas zu verändern. Deshalb fehlt vielen Programmen eine tragende Leitidee, also eine Vorstellung darüber, wo sich das Unternehmen in den kommenden Jahren hin entwickeln soll — und wie jede/r Einzelne davon profitiert. Diese Zukunftsperspektive ist jedoch wichtig, wenn sich mitunter mehrere Hunderttausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Weg machen sollen.
These 2: Nach zig Programmen tritt ein Gewöhnungseffekt ein, die Organisation stumpft ab.
Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter großer Unternehmen haben bereits eine Reihe von Programmen kommen und gehen gesehen. Damit tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Der aufrüttelnde Moment, auf den viele Programme setzen, bleibt aus. Hinzu kommt, dass viele Programme nach anfänglich großen Ankündigungen und Anstrengungen binnen Monaten im Tagesgeschäft mitschwimmen — und dabei auch mal untergehen. In der Konsequenz bedeutet das für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Erst einmal abwarten. Vielleicht zieht der Sturm ja an mir vorbei.“ Das ist eine nachvollziehbare Reaktion, in ihrer Wirkung ist sie aber gefährlich. Denn Veränderung wird hier wie eine Naturgewalt wahrgenommen, der man am liebsten entkommen würde, statt sie selbst zu treiben und als Chance der auch individuellen Weiterentwicklung zu sehen.
These 3: Die Vielzahl an Programmen lähmt die Organisation statt sie voranzubringen.
Auch wenn die Theorie davon ausgeht, dass ein Konzernprogramm alles dominiert und sich die ganze Organisation darauf ausrichtet, laufen in der Praxis meistens mehrere Programme parallel. Sie alle bestehen aus einer Vielzahl an Initiativen und Projekten, die selten (gut) aufeinander abgestimmt sind. Wenn man sich anschaut, welche Personen in diesen oft isoliert laufenden Prozessen involviert sind, stellt man fest, dass die Schnittmenge groß ist. So laufen die bereits im Tagesgeschäft vollen Schreibtische einzelner Personen über. Treibende Köpfe werden nahezu überall eingebunden und so systematisch überfordert und frustriert. Gleichzeitig werden Andere systematisch von Entwicklungen abgehängt und empfinden Stillstand. Lähmung der Organisation statt Bewegung in der Breite ist die Folge.
These 4: Viele Programme ignorieren tiefergehende kulturelle Hürden und springen daher zu kurz.
Die meisten Programme basieren auf umfangreichen Analysen: Über Monate werden Zahlen gesammelt, analysiert und in den Benchmark-Vergleich gesetzt. So lässt sich die Notwendigkeit zur programmatischen Veränderungen eindrucksvoll — zahlenbasiert — nachweisen und Ziele der Veränderung können bis auf Nachkommastellen präzise formuliert werden. Selten betrachtet werden in diesen Analysen allerdings organisationale und kulturelle Faktoren, die den Status quo der Organisation prägen. Zum Beispiel die gelebte Führungskultur, die Zufriedenheit und das Mindset der Belegschaft oder die Fähigkeit zur bereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Programme, die diese Faktoren ignorieren, heilen mit viel Aufwand Symptome; sie ermöglichen aber keine nachhaltige Weiterentwicklung und Verbesserung der Situation.
These 5: Die meisten Programme werden unter Annahmen entwickelt, die nicht (mehr) zeitgemäß sind.
Wir leben in einer Zeit, die manch eine/r als VUCA Welt bezeichnet — volatil, unsicher, komplex und voller Ambiguität. Die größte Herausforderung für Großunternehmen ist es, anpassungsfähig zu werden und zu bleiben. Dafür sind klassische Konzernprogramme nicht geeignet, denn sie beruhen auf drei Konstruktionsfehlern: Erstens nehmen sie einen zu langen Zeitraum (meistens drei bis fünf Jahre) in den Blick, anstatt in einer zunehmend dynamischen Welt auf agile Strategien, die in kleineren Zeiträumen und iterativ denken, zu setzen. Zweitens verhindern die in Konzernprogrammen aufgesetzten Top-down-Mechanismen schnelle Entscheidungen und die Anpassung an ein sich schnell veränderndes Umfeld. Drittens ist die Annahme, dass ein Programm alle Probleme lösen kann, in einer Welt, die sich kontinuierlich weiterdreht, ein Trugschluss. Ein Konzernprogramm allein wird die Organisation nicht dauerhaft fit für die Zukunft machen. Vielmehr braucht es kontinuierliche Weiterentwicklung.
Wenn ein Programm nicht (mehr) geeignet ist, um eine Organisation nachhaltig zukunftsfähig aufzustellen — was ist die Alternative?
Organisationen müssen umdenken, wenn sie sich wirkungsvoll weiterentwickeln möchten
Der erste Schritt in Richtung Zukunft ist die Frage, wohin die Reise gehen soll. Diese Entwicklungsperspektive muss nicht nur betriebswirtschaftliche Ziele formulieren, sondern auch beschreiben, wie sich eine Organisation anfühlt, die diese Ziele erreicht. Was motiviert Menschen, für die Organisation zu arbeiten? Wie gehen sie miteinander um? Wir arbeiten sie zusammen? Wichtig ist, dass diese Zukunftsperspektive gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsteht. Hierfür bietet sich zum Beispiel eine interaktive Zukunftskonferenz für Führungskräfte und Mitarbeitende an.
Anschließend stellt sich die Frage nach Hindernissen: Was hält die Menschen davon ab, bereits heute so zu arbeiten? Und was kann wer tun, damit das Zielbild real wird? Sind es strukturelle Hürden wie fehlende Mitgestaltungs- und Entscheidungsräume, prozessuale Hürden wie der fehlende Zugang zu Informationen oder kulturelle Hürden wie das fehlende Vertrauen in die Kompetenzen der Anderen? Um diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig, Feedback einzuholen. Sowohl von außen, z.B. von Kunden, Partnern und Mitbewerbern, als auch in der Organisation, z.B. durch Workshops mit Führungskräften und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Schließlich gilt es, Lösungen für diejenigen Hindernisse zu entwickeln, die grundlegend sind. Dafür haben sich kleine Pilotgruppen bewährt, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte aus unterschiedlichen Bereichen auf freiwilliger Basis (!) zusammenarbeiten. Zum Start erhalten die Pilotgruppen einen klar und verbindlich formulierten Auftrag aus dem Management. Begleitend ist die Unterstützung durch erfahrene Coaches (z.B. aus dem Personalbereich) sinnvoll. Sie helfen dabei, die Gruppe arbeitsfähig zu machen, z.B. indem sie die Distanz zwischen Führung und Mitarbeitern abbauen, neue Arbeitsweisen und Methoden in die Arbeit einflechten und die Reflexion des Erlebten anregen. Entscheidend ist, dass die Ergebnisse der Pilotgruppen nicht in PowerPoint enden. Das Testen der Lösungsideen in der Praxis und die verbindliche Entscheidung über die Umsetzung der Lösung sind erfolgskritisch. Andernfalls verpufft jedes Engagement, weil der persönliche Einsatz gefühlt wirkungslos war.
Diese Schritte sind kein Leitfaden zum Abarbeiten, sondern eine Einladung, über die Weiterentwicklung einer Organisation anders nachzudenken: Weiterentwicklung als Chance für die gesamte Organisation, als kontinuierliche Aufgabe, als gemeinsame Verantwortung und als Grundlage, um auch in Zukunft wettbewerbs- und zukunftsfähig zu sein.