Evolutionäre Strategien in Komplexität und Dynamik
In Teil 1 unserer Artikelreihe haben wir uns mit der Frage beschäftigt, ob klassische Strategien in zunehmend volatilen und komplexen Umwelten überhaupt noch sinnvoll sind. Unsere Antwort: „Ja, sind sie!“ — aber Strategie muss neu gedacht werden. Wir haben beschrieben, woran klassische Strategien oft scheitern und Erfolgsfaktoren benannt, die Strategien in Komplexität und Dynamik zu neuer Wirksamkeit verhelfen. In Artikel 2 beschreiben Andreas und Sören unseren kollaborativen Prozess zur Entwicklung und Verankerung evolutionärer Strategien.
Was Strategien brauchen, um erfolgreich zu wirken
Zur Erinnerung: In Komplexität und Dynamik verlieren klassische Strategien ihre Wirksamkeit, weil die Prinzipien von Planbarkeit und Vorhersehbarkeit nicht mehr greifen. In der VUCA-Welt (VUCA (engl.) für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) gelten andere Spielregeln für eine erfolgreiche Strategiearbeit, die wir in sechs Prinzipien zusammengefasst haben:
- Eindeutiger Zweck der Strategieentwicklung
- Kollaborative Erarbeitung und Umsetzung
- Außenfokus
- Start beim Purpose
- Denken in Zukünften
- Experimentieren und Lernen
Eine Strategie, die diese sechs Prinzipien berücksichtigt, ermöglicht die evolutionäre Weiterentwicklung der eigenen Organisation entlang von Kunden- und Marktbedürfnissen. Wir nennen sie deshalb „evolutionäre Strategie“.
Unser Vorgehensmodell für evolutionäre Strategien
In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Kunden bei der strategischen Weiterentwicklung begleitet. Dabei haben wir ein Vorgehensmodell entwickelt, das die oben beschriebenen Prinzipien in konkrete Schritte übersetzt. Wichtig ist uns dabei: Das Vorgehensmodell bietet den groben Rahmen, der anschließend im konkreten Fall mit Leben gefüllt wird.
Bei diesem Vorgehensmodell sind zwei Aspekte wichtig:
- Erstens gehen wir iterativ vor. Das bedeutet: Während der Strategiearbeit findet eine ständige Rückkopplung und falls notwendig Anpassung bereits erarbeiteter Inhalte statt.
- Zweitens stoßen wir von Beginn an Veränderungsimpulse in der Organisation an. Klassische Strategien entfalten erst dann Wirkung in der Organisation, wenn sie „fertig“ formuliert sind. Im von uns entwickelten Vorgehen werden von Beginn an Erkenntnisse, die im Prozess entstehen, genutzt. Dies können zum Beispiel erste Ergebnisse aus der Analyse der Ausgangslage sein, die in „Mini-Projekten“ angegangen werden — noch bevor die eigentliche Strategie „fertig“ ist.
Schritt 1: Das Fundament schaffen
Vor der eigentlichen Strategiearbeit schaffen wir das Fundament, indem wir mit zentralen Akteuren der Strategieentwicklung das Ziel des Strategieprozesses klären. Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt: Wofür brauchen wir als Unternehmen überhaupt eine neue Strategie? Das Vorgehensmodell der Strategieentwicklung erarbeiten wir partizipativ in der Organisation: So entsteht ein Prozess, der wirklich zum Unternehmen und seiner Kultur passt und der von den Menschen in der Organisation mitgetragen wird.
Schritt 2: Analyse der Ausgangslage
Bei der Analyse der Ausgangslage setzen wir auf Perspektivenvielfalt und die Weisheit der Organisation und ihres Umfelds. Konkret bedeutet das: Wesentliche Erkenntnisse gewinnt die Organisation durch intensives Zuhören in Gesprächen mit Menschen aus dem eigenen Unternehmen und durch das Einholen von Kunden- und Stakeholder-Rückmeldungen. Gute Erfahrungen haben wir hier beispielsweise mit „Analyse-Teams“ gemacht, die in kurzen Sprint-Formaten die Organisation und ihr Umfeld durchleuchten. Am Ende dieses Schrittes steht eine gemeinsam entwickelte, ehrliche und realistische Beschreibung des IST-Zustandes der Organisation — beispielsweise in Form einer Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken Betrachtung (SWOT). Das schafft Klarheit und hilft, eine gemeinsame Sicht auf die aktuelle Situation zu entwickeln.
Schritt 3: Purpose und Zukunftsbilder beschreiben
Liegt die Analyse der Ausgangslage vor, werfen wir den Blick in die Zukunft. Grundlage ist hier ein gemeinsam formulierter Purpose, der das „Wofür“ einer Organisation beschreibt und deutlich macht, welchen Beitrag die Organisation für andere leistet — und was sie damit in die Welt bringen möchte. Diesen Purpose nutzen wir, um den Anspruch der Organisation für die Zukunft zu formulieren. Es entsteht ein vitales Zukunftsbild, das anfassbar und facettenreich ist. Es ersetzt klassische Visionen, die losgelöst von den Stärken der Organisation und dem Bedarf des Markts wirken sollen. Ein gutes Zukunftsbild setzt auf einen ganzheitlichen Blick und auf vielfältige Perspektiven. Es berücksichtigt dabei sowohl bereits bekannte, vorhersehbare Entwicklungen, als auch noch unscharfe Zukunftsthemen. Mehr noch: Es behält sich ausdrücklich vor, in komplexen und dynamischen Zeiten von mehreren Szenarien auszugehen und die Organisation so in die Lage zu versetzen, auf unterschiedliche mögliche Zukünfte hinzusteuern. Wir haben für die Entwicklung von Zukunftsbildes ein Modell entwickelt, das vier Dimensionen in den Blick nimmt:
- FÜR WEN UND WAS? Kundenbedürfnisse, Stakeholder-Interessen, Produkte und Leistungen
- WOMIT? Strukturen und Prozesse, Infrastrukturen, Ressourcen
- MIT WEM? Mitarbeiter*innen (Kompetenzen, Skills), Partner und Netzwerke
- WIE? Haltung und Verhalten, Außenauftritt und -wirkung, Kultur, Werte
Schritt 4: Strategische Pfade für Neues und Bestehendes skizzieren
Anschließend beschreiben wir den Weg vom „Jetzt“ in Richtung Zukunftsbild. Dabei definieren wir erstens strategische Pfade, die den groben Weg in die Zukunft beschreiben. Diese Pfade bieten Orientierung, sie lassen aber auch Raum für (noch) Unbekanntes. So bleibt das Unternehmen beweglich und kann auf veränderte Anforderungen reagieren. Der Fokus der Pfade liegt dabei immer auf den nächsten, gangbaren Schritten: Statt in Langfristzielen und statischen Wasserfall-Logiken zu denken, setzen wir auf das Handeln auf Sicht und regelmäßige Iteration. Alle Pfade haben ihren Ursprung im Purpose und richten sich am Zukunftsbild aus.
Um den Überblick über alle Pfade zu behalten, hat sich für uns die Arbeit mit Strategie-Roadmaps bewährt. Diese bilden die nächsten Schritte ganzheitlich ab und ermöglichen die Priorisierung von Maßnahmen. Grafisch ausgestaltet bietet eine Roadmap die Möglichkeit, auch den Fortschritt der Strategie-Umsetzung transparent zu machen.
Schritt 5: Verankern, weiterentwickeln, lernen
Strategieentwicklung und -umsetzung verzahnen wir eng miteinander: In der Entwicklung sammeln wir bereits Ideen zur Umsetzung, in der Umsetzung wiederum entwickeln wir strategischen Annahmen aus der Startphase weiter. Hier verteilen wir die Verantwortung auf noch breitere Schultern: Zum Beispiel können Freiwillige aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen und Hierarchiestufen die Planung und Umsetzung konkreter Maßnahmen auf den Pfaden selbstorganisiert vorantreiben. Dabei kann das entwickelte Zukunftsbild als Orientierungspunkt für Inhalte und Art und Weise der Zusammenarbeit genutzt werden.
Begleitend: Kommunikation und Community-Building
Evolutionäre Strategie lebt davon, dass die ganze Organisation mitmacht. Daher gilt es von Beginn an, in der gesamten Belegschaft und bei Stakeholdern Neugier und Interesse zu wecken. Die Grundlage ist die verlässliche Information über Auslöser, Ziele und Vorgehen der Strategiearbeit. Um eine kritische Auseinandersetzung zu ermöglichen und Menschen von diesem Vorgehen zu begeistern, braucht es aber mehr. Gefragt sind interaktive erlebnisorientierte Formate wie beispielsweise Zukunftslabore, in denen zentrale Inhalte der Strategie kollaborativ erarbeitet werden oder erste Rückmeldungen von Mitarbeiter*innen, Kund*innen oder Stakeholdern eingeholt werden. Werden diese Formate gut eingesetzt, wirken sie positiv verstärkend auf die Weiterentwicklung des Unternehmens — und begeisterte Teilnehmer*innen werden zu Befürworter*innen der Strategie im eigenen Umfeld.
Spielregeln und Rollen
Auch evolutionäre Strategiearbeit braucht wirksame Steuerung. In unseren Projekten setzen wir auf geteilte Verantwortung. Bewährt hat sich ein interdisziplinäres und hierarchieübergreifendes Projektteam, das entlang gemeinsam entwickelter Prinzipien, eindeutigen Rollen und klar definierten Verantwortlichkeiten zusammenarbeitet. Die Teammitglieder arbeiten hier freiwillig mit.
Und auch unsere Rolle als externe Berater verändert sich im Prozess: Wir sind Impulsgeber, Coach und Begleiter. Die Befähigung der Organisation steht im Vordergrund, nicht die Umsetzung einzelner Maßnahmen durch Externe. In Prozess und Umsetzung werden immer wieder Räume für neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen und so Lernen, Reflexion und Verankerung von — für die Organisation passenden — Formaten und Vorgehen gefördert.
Fazit: Kollaborative Strategiearbeit als Katalysator für nachhaltige Transformation
Strategien in Komplexität und Dynamik müssen neu gedacht werden. Das bedeutet für uns: Sie müssen kollaborativ erarbeitet werden und auf die evolutionäre Weiterentwicklung der Organisation abzielen. Und: Sie müssen zu der Organisation passen, anstatt auf Standardrezepte zurückzugreifen. Dafür braucht es den Mut, Neues auszuprobieren und dabei Bestehendes wertzuschätzen. Gelingt das, kann die Strategie nicht nur Orientierung in unsicheren Zeiten bieten, sondern auch als Katalysator für die Transformation dienen — und damit zu mehr Beweglichkeit und Wendigkeit verhelfen.
Gerne begleiten wir Sie dabei, entlang dieses Vorgehensmodells Ihren eigenen, für Ihre Organisation passenden Weg zu kreieren — damit die Strategie nicht zum Papiertiger verkommt, sondern wirkungsvolle Weiterentwicklung ermöglicht. Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Erfahrungen: Welches Vorgehen hat sich in Ihrem Umfeld bewährt?
In den kommenden Beiträgen unserer Artikelserie werden wir die einzelnen Schritte tiefergehend beleuchten und Impulse zur methodischen Umsetzung geben.
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