Blog · 24.09.2024 · Julia Straub

Die Strategie als Richtungsgeberin für die Transformation

Die Strategie als Richtungsgeberin für die Transformation

Der Transformationsbedarf deutscher Unternehmen wächst seit Jahren. Er ist derart umfassend, dass oft viele Initiativen parallel gestartet werden – ohne eine gemeinsame Vorstellung, wohin sich die Organisation transformieren möchte. Noch immer verbinden wenige Unternehmen ihre Transformation mit der Strategie. Dabei liegt genau hier die Chance, grundlegende Veränderungen anzustoßen. Wie sieht aber ein Transformationsframework aus, das diese zukunftsorientierte Strategiearbeit ermöglicht?


Dieser Beitrag ist erstmalig erschienen am 07. Juni in der Ausgabe 5/2024 des changement-Magazins. Text: Sören Krüger & Julia Straub


Immer neue Themen und Anforderungen prasseln auf die Unternehmen ein. Steigende Geschwindigkeit und Komplexität stellen über Jahre gewachsene Organisationsstrukturen und -kulturen auf die Probe. Der Transformationsbedarf der Unternehmen ist derart umfassend, dass oft viele Initiativen parallel gestartet werden: Manche arbeiten am Führungsmodell, andere widmen sich der Digitalisierung. Alle sind mit dem eigenen Bild der künftigen Organisation beschäftigt und setzen auch ihre eigenen Prioritäten. Das führt zu Transformationsfrust: Orientierung geht verloren, Vorhaben blockieren sich gegenseitig und die Organisation läuft in die Überlast, weil überall in unterschiedliche Richtungen gezogen wird. Im Unternehmen wird die Frage lauter, welchen Mehrwert die Transformation wirklich schafft.

Es geht zu selten um die Zukunft

Noch immer folgen wenige Transformationsvorhaben einer Strategie. Es gibt weder ein geteiltes Bild davon, wo das Unternehmen steht, noch davon, wie die Organisation künftig arbeiten und was sie leisten soll. Stattdessen werden die größten bestehenden „Pain Points“ zu Transformationsprojekten erklärt. Im Fokus steht die Reparatur des Status quo – und nicht die zukunftsgewandte Weiterentwicklung der Organisation. Die meisten Transformationsvorhaben verfehlen den Anspruch, das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen, weil sie sich gar nicht mit der Zukunft beschäftigen. Dabei liegt genau hier das Potenzial, um grundlegende Veränderungen anzustoßen. Ein Weg, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, ist eine Verbindung der Transformation mit der Unternehmensstrategie. Dafür muss Strategie mehr sein als eine Schlagwort- und Kennzahlensammlung. Sie muss zum Kompass für Führungskräfte und Mitarbeitende werden.

Viele verbinden mit Strategie immer noch statische Zehnjahrespläne. Aber zwischen Ad-hoc-Entscheidungen und Zehnjahresplänen gibt es viele Spielarten. Moderne Strategiearbeit bedeutet, sich mit den möglichen Zukünften der eigenen Organisation zu befassen. Dabei gilt es herauszufinden, welche potenziellen Entwicklungen es gibt und dann bewusst zu entscheiden, welche dieser Entwicklungen wünschenswert sind. Die Entscheidung ist natürlich keine Zukunftsgarantie. Aber sie ermöglicht es, die eigene Zukunft mitzugestalten, anstatt nur auf Veränderungen im Umfeld zu reagieren. Eine hohe Reaktionsfähigkeit ist wichtig – aber wer nur reagiert, läuft den Entwicklungen hinterher.

"Die Strategie muss zum Kompass für Führungskräfte und Mitarbeitende werden."

Fundament für eine ganzheitliche Weiterentwicklung

Eine wirksame Strategie beginnt im Hier und Jetzt. Sie beschreibt, wie das Unternehmen aktuell aufgestellt ist, in welchem Umfeld es sich bewegt, wofür es antritt, wohin es sich entwickeln möchte – und wie. Dabei nimmt sie zwei Dimensionen in den Blick: das Wirken des Unternehmens nach außen (Geschäftsentwicklung) sowie die interne Aufstellung und Zusammenarbeit (Organisationsentwicklung). Damit legt die Strategie das Fundament für eine ganzheitliche Weiterentwicklung.

Checkliste: Wichtige Fragen vor der Transformation

→ Warum wollen wir die Organisation transformieren?

→ Was erhoffen wir uns von der Transformation?

→ Welche Prinzipien und Werte leiten uns in der Transformation?

→ Wer treibt den Transformationsprozess (gemeinsam) voran, wer entscheidet was?

→ Worauf setzen wir – welche Prozesse und Projekte müssen wir mitdenken?

→ Was passiert, wenn wir nichts tun?

Das Herzstück der Strategie ist das Zukunftsbild. Es skizziert die Organisation in fünf bis sieben Jahren und definiert, worauf alle Aktivitäten in den Folgejahren abzielen. Vom Zukunftsbild ausgehend werden Schritt für Schritt Prioritäten vereinbart. So entsteht ein Transformationsframework, das eine gemeinsame Ausrichtung sichert und gleichzeitig Raum für das Navigieren in Ungewissheit lässt. Um die Transformation mit der Unternehmensstrategie zu verbinden, haben wir ein strukturiertes und zugleich flexibles Prozessdesign entwickelt, ein Transformationsframework. Es besteht aus fünf Elementen (siehe Abbildung 1):

Abbildung 1: Framework für zukunftsorientierte Entwicklung

1. Analyse des Status quo der Organisation sowie der relevanten Trends und Entwicklungen im Umfeld

2. Formulierung des Purpose (Daseinszweck), der beschreibt, wofür die Organisation antritt und damit einen Entwicklungskorridor absteckt

3. Entwicklung eines Zukunftsbilds, das das Wirken des Unternehmens im Markt genauso in den Blick nimmt wie seine innere Verfasstheit (Strukturen, Kultur, Zusammenarbeit)

4. Festlegung von Zielen und Maßnahmen in einer Taktung, die Fortschritte sichtbar macht

5. Etablierung von Lern- und Reflexionsräumen, die eine Weiterentwicklung des Vorgehens ermöglichen

Jedes Element des Frameworks kann unterschiedlich umgesetzt werden – je nach Ausgangslage, Zielsetzung und Organisationskultur. Im Folgenden stellen wir die Elemente vor.

Analyse des Status quo

Der erste Schritt in die Transformation ist die Auseinandersetzung mit dem Status quo. Der Blick nach innen erfasst die aktuelle Beschaffenheit der Organisation, zum Beispiel das Geschäftsmodell und die wirtschaftliche Lage, Strukturen und Arbeitsweisen, den Digitalisierungsgrad, die Unternehmenskultur und das Führungsverständnis. Der Blick ins Umfeld untersucht und bewertet relevante Entwicklungen und Trends. Dabei können zum Beispiel Marktdaten analysiert, Mitbewerbende und Stakeholder interviewt sowie gesellschaftliche Entwicklungen ausgewertet werden. Ziel ist es, Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen und festzustellen, wie gut das Unternehmen auf diese vorbereitet ist.

"Moderne Strategiearbeit bedeutet, sich mit den möglichen Zukünften der eigenen Organisation zu befassen."

Die Status-quo-Betrachtung wird in der Praxis oft unterschätzt. Hier wird deutlich, warum das Unternehmen überhaupt eine Transformation anstrebt. Ein Beispiel: Ein Unternehmen ist wirtschaftlich seit vielen Jahren erfolgreich und auch die Prognosen für das nächste Geschäftsjahr sehen solide aus. Dennoch strebt der Vorstand eine Transformation an, weil es zum Beispiel gut verdeckte Schwächen der Organisation oder Chancen bzw. Risiken im Umfeld gibt, die sich erst langsam abzeichnen. Wenn die Ergebnisse der Status-quo-Analyse gut intern kommuniziert oder sogar diskutiert werden, schafft das eine gemeinsame Basis für den weiteren Weg.

Formulierung des Purpose

Der Purpose beschreibt, wofür die Organisation existiert und welchen Nutzen sie für andere schafft. Der Purpose ist kein Marketing-Tool, sondern hat eine hohe strategische Relevanz: Alles, was mit dem Purpose vereinbar ist, liegt im Bereich des strategisch Möglichen. Wenn ein Unternehmen beispielsweise den Purpose hat, die wirtschaftliche Attraktivität des Landes Brandenburg für Start-ups zu stärken, dann fallen damit einige Optionen weg – zum Beispiel das Investment in ein traditionsreiches Familienunternehmen in Baden-Württemberg.

Der Purpose gibt Sicherheit und baut eine Brücke in die Zukunft: Er kann lange stabil sein, während sich das Geschäftsmodell des Unternehmens und die Kultur verändern. Der Purpose dient als Entwicklungskorridor für die Transformation – und als Orientierung für Führungskräfte und Mitarbeitende. Darum ist es sinnvoll, beide Gruppen in die Erarbeitung zu involvieren.

"Der Purpose gibt Sicherheit und baut eine Brücke in die Zukunft."

Entwicklung des Zukunftsbilds

Wenn die Status-quo-Analyse abgeschlossen und der Purpose formuliert ist, geht der Blick in Richtung Zukunft. Das Zukunftsbild skizziert die Organisation in fünf bis sieben Jahren, je nach Marktdynamik. Auch hier geht es darum, die innere Verfasstheit und die Verbindung der Organisation zu ihrem Umfeld zu beschreiben. Welche Dimensionen ein Zukunftsbild haben kann, zeigt Abbildung 2.

Die Anzahl und Benennung der betrachteten Facetten sind flexibel. Wichtig ist, dass die für das Unternehmen relevanten Zukunftsfragen verortet werden können. Bei der Formulierung konkreter Zukunftsambitionen ist weniger mehr: Drei bis fünf starke Statements pro Dimension reichen aus. Jeder Satz sollte strategisch relevant, ambitioniert und erreichbar sein und die Menschen im Unternehmen motivieren. Das Zukunftsbild definiert keine Umsatz- oder Mitarbeiterzahlen, sondern einen inhaltlichen Entwicklungsanspruch für die gesamte Organisation.

Das Zukunftsbild entsteht durch die Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften der Organisation und der Entscheidung, auf welche mögliche Zukunft das Unternehmen aktiv hinarbeitet. Diese „wünschenswerte Zukunft“ leitet das Handeln in den Folgejahren. Jede Entscheidung wird vor dem Hintergrund des erarbeiteten Zukunftsbilds getroffen. Die Erarbeitung erfolgt iterativ in mehreren Arbeitssessions. Je mehr dabei geklärt und gemeinsam geschärft wird, desto einfacher wird die anschließende Ableitung sowie Priorisierung und Umsetzung von Zielen und Maßnahmen.

Abbildung 2: Prototyp eines Zukunftsbilds

Festlegung von Zielen und Maßnahmen

Wenn das Zukunftsbild steht, ist die wichtigste Frage: Wo fangen wir an? In den meisten Unternehmen kann man sie mit der (jährlichen) strategischen und wirtschaftlichen Planung verbinden. Die Ziele des Unternehmens unterstützen damit unmittelbar die Transformation. Entscheidend ist, dass nicht der gesamte Zeitraum bis zum Zukunftsbild linear durchgeplant wird. Stattdessen legt das Unternehmen Jahr für Jahr oder Quartal für Quartal neue Ziele fest. Dadurch kann es neue Entwicklungen und Erkenntnisse berücksichtigen – zum Beispiel eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage oder neue Technologien am Markt. Das große Bild bleibt bestehen und gleichzeitig werden in einem flexiblen Takt sinnvolle Prioritäten für die Transformation gesetzt.

Für die Formulierung der Ziele ist es wichtig, dass sie einen inhaltlichen Bezug zum Zukunftsbild haben. Jedes Ziel macht deutlich, was die konkrete Ambition bis zum Ende der nächsten Iteration ist. Strategische Maßnahmen übersetzen die Ziele in konkrete Aktivitäten.

Neben der Umsetzung organisationsweiter Ziele und Maßnahmen ist es hilfreich, das Zukunftsbild dezentral in den Organisationseinheiten als Kompass zu nutzen. Hier können Teams beispielsweise diskutieren, was das Zukunftsbild für ihre Arbeit bedeutet und wie sie zur Erreichung beitragen können. Dadurch wird die Transformation für alle Mitarbeitenden greifbar und alltagsrelevant.

Etablierung von Lern und Reflexionsräumen

Wer neu in die Transformation startet, hat viel vor. Zu große Ziele oder zu aufwendige Prozessdesigns sind häufig die Folge. Wer sich allerdings gleich zu Beginn übernimmt, ist schnell demotiviert. Unsere Empfehlung ist daher: klein anfangen und Jahr für Jahr besser werden. Dafür braucht es Lern- und Reflexionsräume, in denen die einzelnen Schritte des Frameworks kritisch reflektiert sowie Anpassungen und Neuerungen für das Folgejahr vereinbart werden. Diese Räume sollten von Anfang an etabliert sein. So wird deutlich: Hier darf gelernt werden! Das entlastet alle Beteiligten und erhöht die Offenheit im Rückblick. Lern- und Reflexionsräume sollten auch für unterschiedliche Zwecke aufgebaut werden, zum Beispiel zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit, zur Rolle von Führung in der Transformation, zur Verbesserung des Arbeitsprozesses und der Beteiligungsformate sowie zum Nachhalten von Fortschritten.

"Lern- und Reflexionsräumesollten für unterschiedliche Zwecke aufgebaut werden."

Den Weg bewusst mitgehen

Durch die Verbindung mit der Unternehmensstrategie erhält die Transformation eine Richtung, eine Taktung und unternehmerische Relevanz. Je klarer ist, wohin die Reise gehen soll, umso leichter ist es, auf dem Weg mit Unsicherheit gut umzugehen. Das gilt für das Management genauso wie für Mitarbeitende: Nur wer versteht, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll, kann den Weg bewusst mitgehen und sich sinnvoll einbringen.